Enttäuscht von der IFLA – die Wahl Dubais ist ein Fehler

Ein sicherer Ort? … oder leider auch nicht.

Am 19.06.2023 teilte die IFLA mit:

The International Federation of Library Associations and Institutions (IFLA) has selected Dubai, United Arab Emirates to host the 2024 World Library and Information Congress.

Dubai to host IFLA WLIC 2024, IFLA (19.06.2023)

Mit der Entscheidung für Dubai möchte man zeigen, dass man auch wirklich international ist.

La gouvernance de la fédération assure toutefois que le choix de ce pays est nécessaire, pour garantir une représentation géographique la plus diverse possible. « Cela montre aussi que nous portons de l’attention à ces voix, parfois moins audibles, qui jugent que l’IFLA est eurocentrée », rappellent Barbara Lison, présidente, et Vicki McDonald, présidente élue.

Ouri, Antoine: Réunir les bibliothécaires à Dubaï : “Le changement découle du dialogue, Actualitte.com (22.06.2023)

Im Statement der „IFLA President and President-elect“ heißt es zudem:

In selecting Dubai for WLIC 2024, the Governing Board actively sought relevant information, and considered the potential impact on some groups, and the LGBTQIA+ community in particular. The Governing Board was equally aware that every time we hold a congress, regardless of our host, there are some countries or communities that are excluded.

A statement on WLIC 2024 from the IFLA President and President-elect, IFLA (21.06.2023)

Dieses Statement zeigt, dass nicht wirklich ein Versuch gestartet worden ist, möglichst vielen Gruppen gerecht zu werden, insbesondere wenn es weiter heißt: „[…] so when we received a strong bid from Dubai, the Governing Board agreed that selecting Dubai was the right decision and is in line with our renewed global commitment.“ Sprich, für ein unschlagbares Angebot, lässt man die eigene Verantwortung in Bezug die Menschenrechte im Allgemeinen, das Recht auf freie Meinungsäußerung und insbesondere auf die Rechte von Minderheiten einfach mal so sausen? [Ironie] Klar, wenn die Fußballmeisterschaften da stattfinden können, wer ist dann so ein popeliger Verband, bei einem unschlagbaren Angebot nein zu sagen? [/Ironie]

Die Special Interest Group der IFLA „IFLA LGBTQ Users“ reagierte sehr schnell auf diese Entscheidung. So freut man sich über die Entscheidung, diese Konferenz in einem Teil der Welt stattfinden zu lassen, wo sie noch nie gewesen ist.

Still, we are considering questions about how any LGBTQ+ members of IFLA can attend the WLIC 2024. 

We do not know how it will be possible for the LGBTQ+ Users SIG members to attend the Congress, because LGBTQ+ persons, will not only not feel safe but could face legal issues and prison just for being who they are in the United Arab Emirates, because homosexuality is illegal there. Cross dressing is illegal. Public displays of homosexuality are illegal there. 
https://en.wikipedia.org/wiki/LGBT_rights_in_the_United_Arab_Emirates

And for international visitors, it has become increasingly dangerous: 
https://www.dw.com/en/uae-is-becoming-increasingly-hostile-to-the-lgbtq-community/a-63257963

Response to the announcement about IFLA WLIC 2024 in Dubai, United Arab Emirates, SIG IFLA LGBTQ Users (22.06.2023)

Response to the announcement about IFLA WLIC 2024 in Dubai, United Arab Emirates

Der norwegische Bibliotheksverband hat hierzu deutliche Worte gefunden:

The Norwegian Library Association (NLA) is disappointed that the Governing Board of IFLA has chosen Dubai, the United Arab Emirates, as the host of the World Library and Information Congress for 2024.

The United Arab Emirates have a bad record on upholding human rights, concerning free speech in general and especially the civil rights and equality for women, LGBT+, and different minority groups.

Statement on the selection of Dubai as venue for WLIC 2024, Norsk Bibliotekforening (23.06.2023)

Die SIG sieht keine Möglichkeit, ihren normalen Tätigkeiten innerhalb des WLIC nachzugehen, wenn sie eben nicht nur mit Vorurteilen konfrontiert werden, sondern sie sich auch mit Einschränkungen in der freien Sprache, rechtlichen Beschränkungen und Inhaftierung ausgesetzt sehen.

Sehr deutlich werden auch die Kolleg*innen der COBDC:

El Col·legi Oficial de Bibliotecaris-Documentalistes de Catalunya (COBDC), com organització professional compromesa amb els valors intrínsecs de la llibertat i el respecte absolut dels drets humans, la considera un greu error i qüestiona la decisió.

(Übersetzung: Das Offizielle College der Bibliothekare und Dokumentarfilme Kataloniens (COBDC) als Berufsorganisation, die sich den inneren Werten der Freiheit und der absoluten Achtung der Menschenrechte verpflichtet fühlt, hält dies für einen schwerwiegenden Fehler und stellt die Entscheidung in Frage.)

Comunicat sobre la designació dels Emirats Àrabs Units (Dubai) com amfitrions del WLIC 2024 (IFLA), Col·legi Oficial de Bibliotecaris-Documentalistes de Catalunya (23.06.2023)

Die CILIP fordert:

We will raise these concerns in the strongest possible terms with the IFLA Governing Board. We ask them to explain their decision and what they are proposing to do to ensure that no member of our profession feels unsafe, unwelcome, or excluded from their international congress.

CILIP statement in response to the announcement of Dubai as the venue for IFLA World Library and Information Congress 2024, CILIP (23.06.2023)

Nach einer veheerenden Reihe an Kritik, bittet das schwedische Biblioteksbladet:

Biblioteksbladet söker Iflas ordförande Barbara Lison för en kommentar.

(Übersetzung: Biblioteksbladet bittet die Ifla-Vorsitzende Barbara Lison um einen Kommentar.)

Eriksson, Thord: Helene Öberg: Oacceptabelt med Ifla-konferens i Dubai, Biblioteksbladet (20.06.2023)

Ich denke nicht, dass sie mit dem Statement von Frau Lison vom 21.06.2023 wirklich zufrieden sind.

Im Magasin K heißt es mit Bezug auf die schwedische Sicht:

Att några av de största aktörerna inom den svenska bibliotekssektorn inte deltar under IFLA:s nästa kongress tror inte Anna Troberg kommer få några konsekvenser för svenska bibliotekarier. Om DIK däremot likt Stockholms stadsbibliotek lämnar IFLA, vilket förbundsstyrelsen ska diskutera under hösten, kommer det däremot inte längre vara möjligt för DIK att påverka IFLA.

(Übersetzung: Anna Troberg glaubt nicht, dass die Nichtteilnahme einiger der größten Akteure im schwedischen Bibliothekssektor am nächsten IFLA-Kongress irgendwelche Konsequenzen für schwedische Bibliothekare haben wird. Wenn die DIK jedoch ebenso wie die Stadtbibliothek Stockholm die IFLA verlässt, worüber der Bundesvorstand im Herbst beraten wird, ist eine Einflussnahme der DIK auf die IFLA nicht mehr möglich.)

Gordan, Rebecka: IFLA:s nästa kongress i Dubai – ”skamligt” anser DIK, Magasin K (20.06.2023)

Würde dieser Schritt gegangen, hieße das doch im Umkehrschluss, dass durch solche Entscheidungen die International Federation of Library Associations and Institutions eher weniger international wird als sie hinzugewinnt. Der Verlust von weiterer Glaubwürdigkeit, denn mit dem Skandal um den freigestellten IFLA-Generalsekretärs Gerald Leitner hat man schon viel davon verloren, muss ernst genommen werden. Für immer mehr Kolleg*innen ist die IFLA nicht mehr ihre IFLA. Die Entscheidung für Dubai ist ein Verstoß gegen die eigenen Grundwerte, denen man sich verschrieben hat, den Core Values, auf welche die Mitglieder und Teilnehmenden vertrauen:

Core Value 4:

  • the commitment to promote and value diversity and inclusion, notably as regards age, citizenship, disability, ethnicity, gender-identity, geographical location, language, political philosophy, race, religious beliefs, sex, sexual orientation or socioeconomic status, and actively pursue relevant policies and practices.
Our Vision and Mission, IFLA (abgerufen: 24.06.2023)

Und eine Frage bleibt bei den hier genutzten und aufgelisteten Reaktionen:

Wo sind die deutschsprachigen Bibliotheksverbände (vdb, BIB, dbv, VÖB, Bibliosuisse), die zu dieser Entscheidung eindeutig Stellung beziehen oder hält man sich dezent zurück, um der IFLA-Präsidentin aus den „eigenen Reihen“ nicht zu schaden?

Ergänzung 27.06.2023: Inzwischen hat der BIB ein scharfes Statement zu dieser Entscheidung veröffentlicht -> siehe: Stellungnahme des BIB zur IFLA-Entscheidung.

Ergänzung 28.06.2023: Das IFLA Governing Board ist dabei, die Entscheidung zu prüfen und zu überdenken: Future updates on IFLA WLIC 2024, IFLA (28.06.2023)

Ergänzung 30.06.2023: Der vdb sieht sich in seiner Entscheidung vom März 2023 (archivierter Link, 03.07.2024) deutlich bestätigt, seine Mitgliedschaft in der IFLA ruhen zu lassen: Berghaus-Sprengel, Anke: IFLA, vdb (29.06.2023) (archivierter Link, 03.07.2024) Der dbv hat inzwischen ebenfalls ein Statement veröffentlicht: Statement des Deutschen Bibliotheksverbandes e.V. (dbv) zur DubaiEntscheidung des Governing Boards der IFLA, dbv (29.06.2023)

Ergänzung 11.07.2023: Die IFLA hat bekannt gegeben, dass sie ein Advisory Referendum on IFLA WLIC 2024 durchführen möchte, dessen Ergebnisse in die Überprüfung der Entscheidung mit einfließen soll. Das Referendum selbst hat jedoch keine Entscheidungsbefugnis. Das Referendum wird auf Grundlage von Artikel 13 der IFLA-Statute durchgeführt. In einem Briefing Paper „WLIC 2024: Briefing Paper to the Advisory Referendum“ wird die Gesamtsituation zusammengefasst und mit hoher Transparenz denjenigen zur Verfügung gestellt, die im Referendum entscheiden sollen.

Weitere Kritik:

Ergänzt am 27.06.2023

Ergänzt am 28.06.2023

Ergänzt am 30.06.2023

Ergänzt am 04.07.2023

Quellen:

Beitragsbild:IFLA WLIC 2014 Drawings by Frédéric Malenfer“ by IFLA HQ is licensed under CC BY-SA 2.0

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4 Gedanken zu „Enttäuscht von der IFLA – die Wahl Dubais ist ein Fehler

    • bibliothekarin

      Vielen Dank für den Hinweis. Das haben wir inzwischen aufgegriffen, sowohl in einem eigenen Blogbeitrag (Stellungnahme des BIB zur IFLA-Entscheidung) als auch im oben stehenden Text ergänzt. Hier haben wir uns wohl um ein paar wenige Minuten überschnitten.

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