Es steht für Bibliotheken einiges auf dem Spiel

motivation, options, psychology

Die Situation der UB Göttingen ist derzeit in der Bibliothekswelt in aller Munde. Ist das, was von dort geschildert wird (un-)möglich?

Die Universität Göttingen hat einen Veränderungsprozess eingeleitet und dafür die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) engagiert, die den Prozess „Pro Admin“ für die Zentrale Verwaltung der Universität steuern soll.

Ziel dieses Veränderungsprozesses ist es laut einer Mitteilung der Vizepräsidentin für Finanzen und Personal der Universität Göttingen vom März dieses Jahres, auf der Grundlage der in der ersten Erhebungsphase gewonnenen Erkenntnisse ein zukunftsfähiges Zielbild für die Universitätsverwaltung zu entwickeln. In der zweiten Phase wird dieses Zielbild und seine Detaillierung zum zentralen Ankerpunkt des hochschulweiten Austauschformats gemacht. Dabei geht es sowohl um kurzfristige Veränderungen als auch um die Entwicklung eines langfristig angelegten Gesamtkonzepts.

BCG hat drei Monate lang eine Grobanalyse durchgeführt, aus der im Laufe der nächsten zwölf Monate ein „Feinzielbild“ entwickelt werden soll. Um die Mitarbeiter der Bibliothek frühzeitig mit ins Boot zu holen, gab es eine erste Veranstaltung, die zu schockierten Reaktionen führte und in einem ersten Artikel am 04.07. im Göttinger Tageblatt gipfelte.

So wurde bereits am 04.07. im Göttinger Tagblatt in seinem Artikel „Drohen der SUB “ Abwicklung“ und “ Zerschlagung“ ?“ (+-Artikel) sehr spekulativ über erste Reaktionen aus der Beratungsrunde für die Mitarbeiter*innen der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen berichtet, in welcher der Belegschaft der Veränderungsprozess vorgestellt wurde.
In seinem Blogbeitrag „Keine Ruhe in Göttingen“ wird dies von Jan-Martin Wiarda recht unaufgeregt in die Gesamtsituation der Universität Göttingen eingeordnet. Dort hatte es über Monate hinweg einen Personalstreit zwischen dem Präsidenten der Universität, Metin Tolan, und dem Vizepräsidenten, Norbert Lossau, gegeben, der mit dem Wechsel des Vizepräsidenten in die Geschäftsführung von „Hochschule.digital Niedersachsen“ endete. Lossau war zuvor sechs Jahre lang Direktor der SUB Göttingen. Dort hat er insbesondere die digitale Strategie der Bibliothek maßgeblich geprägt.

Wiarda in seinem Beitrag:

„Mir gegenüber äußerten Uni-Mitarbeiter die Befürchtung, die SUB solle im Wesentlichen auf ihre Basisfunktionen der Bücherverwaltung reduziert werden.“

Im Göttinger Tageblatt heißt es:

„Aus dem Treffen (…) berichtete ein Teilnehmer dem Tageblatt, letztlich hätten die Vorschläge der BCG etwas von einem “ Zerschlagungsprozess“ oder einer “ Abwicklung“ . Im Wesentlichen solle die SUB “ auf ihre Basisfunktionen, also die Bücherverwaltung reduziert werden“ .

Wie aber die Detailplanung am Ende aussehen wird, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht abschätzen, da die Planung erst im August beginnt und auf ein Jahr ausgelegt ist.

Wie brisant das Thema wirklich ist, oder ob es sich um reine Veränderungsängste und Spekulationen handelt, lässt sich derzeit nicht sagen. Der Dekan der Juristischen Fakultät, Hans Michael Heinig, twitterte am 06. Juni:

„Die SUB gehört zu den profilierten und leistungsstarken Bibliotheken in D. Wieso sollte die Uni die „zerschlagen“ oder mutwillig beschädigen wollen? Aber Uni-interne Höchsterregung über Quisqiulia droht jeden Versuch der Organisationsentwicklung zum Scheitern zu bringen.“

Auf den Artikel im Göttinger Tageblatt vom 09.07.2023 folgte sehr schnell ein Offener Brief von Frau Prof. Andrea Rapp und dem Generaldirektor der Deutschen Nationalbibliothek, Frank Scholze, der sowohl in der Twitter- als auch in der Mastodon-Bibliotheksbubble weit verbreitet wurde und schnell auch ins Englische übersetzt wurde.

In dem Brief wird um Unterstützung für die SUB Göttingen als „etablierte und exzellente Partnerin“ geworben, „deren überregional bedeutsame Rolle nicht durch einen lokalen Prozess administrativer Optimierung beschränkt werden darf. Denn eine moderne und leistungsfähige Informationsinfrastruktur kann nur in einem internationalen Netzwerk zusammenarbeitender Einrichtungen funktionieren“. Der Brief macht deutlich, dass die SUB als „renommierte Vorreiterin und Partnerin für eine zukunftsfähige Forschungs- und Informationsinfrastruktur einschließlich der Umsetzung von Open Science Policies in Deutschland und international“ sowie als „profilierte Schnittstelle zwischen Forschung und Infrastruktur“ erhalten bleiben muss.

Stand heute haben 2.500 Unterstützende diesen Brief unterschrieben, darunter namenhafte Professor*innen, Forschende, aber auch zahlreiche Kolleg*innen anderer Bibliotheken.

Gestern fand eine Präsentation der ersten Vorschläge im Rahmen des Pro.Admin-Prozesses im Senat statt, die live für ein breiteres Publikum übertragen wurde. Die ersten Analyseergebnisse und Vorschläge sollen in den Gremien ergebnisoffen diskutiert werden. Spannend wird es am 22. August, wenn diese Ergebnisse der breiteren Hochschulöffentlichkeit vorgestellt und weiter intensiv diskutiert werden. Erst nach Abschluss dieser Phase, so heißt es in der Pressemitteilung vom 10.07.2023, wird entschieden, welche der Vorschläge dann ggf. auch umgesetzt werden sollen.

In dieser Pressemitteilung wird auch dezidiert auf die in der Öffentlichkeit geäußerten Befürchtungen eingegangen:

In den vergangenen Tagen wurden allerdings Ängste insbesondere über die Zukunft der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (SUB) laut, die als Zentrale Einrichtung der Universität Teil der untersuchten Einrichtungen war. Es wurde geäußert, die SUB könne ihr Profil oder ihre wichtige Funktion als Einrichtung der Forschungsinfrastruktur der Universität sowohl innerhalb der deutschen als auch der internationalen Wissenschaftslandschaft verlieren. Hier möchten wir deutlich sagen: Weder der Auftrag noch die Analyse und der Vorschlag sehen eine Änderung der Aufgaben der SUB vor. Vielmehr geht es um die Optimierung von Verwaltungsstrukturen, auch von denen, die sich zwischen Universität und SUB sowie anderen Zentralen Einrichtungen möglicherweise doppeln. Wie weit dies gehen kann, wird eine genauere Analyse erst noch zeigen. Das Ziel ist es aber auf jeden Fall, den Charakter der SUB als führende Forschungsbibliothek weiter zu stärken, da der SUB in verschiedenen Forschungsvorhaben eine Schlüsselrolle zukommt.

Beruhigt hat die Universität die Gemüter damit wohl nicht.

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung heißt es am 12.07.:

„Den Beratern schwebt vor, die Bibliothek auf nicht näher definierte Kernaufgaben zu reduzieren, was konkret heißt, dass weite Teile ihrer Verwaltung wie Controlling, Personal oder Finanzen der Zentralen Universitätsverwaltung integriert werden sollen. Zu prüfen sei außerdem, ob die Bibliothek noch eine Direktion brauche. Optimierung und Bündelung im Hinblick auf die Ressource Zeit, heißt das in einem nach außen gelangten Papier.“

Thiel, Thomas: Kopfloser Plan: Göttingen will seine Bibliothek kleinsparen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.07.2023, Nr. 159, S. N4 [F.A.Z – Bibliotheksportal – Zugang per VPN für FSU-Angehörige]

Hinzu kommt, dass die Leitung der Universität offensichtlich selbst nicht verstanden hat, was denn nun die Kernaufgaben der Bibliothek sind. Auch müsse man, so heißt es in dem Artikel, sehr genau hinschauen, ob gleichnamige Verwaltungseinheiten grundsätzlich vergleichbare Aufgaben erfüllen. Michael Knoche beschreibt dies am 10.07.2023 treffend in seinem Blog „Aus der Forschungsbibliothek Krekelborn“:

„Das klingt so, als ob man die Bewirtschaftung einer regionalen Eisenbahnverbindung der Stadtverwaltung überantworten wollte, in der Meinung, dass es wohl kein Hexenwerk sei, Einsatzpläne zu machen, um die Menschen von A nach B zu bringen.“

Viel heißer Wind zunächst um nichts, entstanden aus verständlichen Ängsten vor einer sehr großen, unüberschaubaren Optimierungs-, Anpassungs- und Veränderungsaufgabe? Kann man nach dem 12.07. an der Universität Göttingen sagen – erst einmal durchatmen, tief Luft holen und dann weiter genau hinschauen? – Ich glaube, das wäre zu kurz gegriffen, denn viele Bibliotheken und Bibliothekar*innen schauen derzeit mit großer Sorge nach Göttingen, weil sie selbst gerade in oder vor einem solchen Prozess in ihrer eigenen Einrichtung stehen und mit Sorge beobachten, wohin diese Entwicklung führt.

In Sparzeiten, die derzeit alle Hochschulen heftig treffen, geraten auch Bibliotheken zunehmend in den Fokus von Hochschulleitungen, wissenschaftspolitischen Gremien und Verbänden. Das ist Segen und Fluch zugleich. Michael Knoche schreibt dazu in seinem Blogbeitrag:

„Ungemütlich wird es, wenn es zu einer detaillierten Aufgabenkritik kommt und einzelne Dienstleistungen der Bibliotheken hinterfragt werden. Auch solche Diskussionen sind erwünscht, aber nur, wenn sie mit hohem Sachverstand geführt werden. Denn es besteht die Gefahr, Elemente des Bibliotheksangebots in Frage zu stellen, die für das Funktionieren der Institution essenziell sind. „

Doch wer das Ganze zerreißt, wird feststellen, dass die Summe der Teile eben nicht mehr das Ganze ergibt. Denn Zuordnungen, institutionelles Wissen und das Verständnis für ein gemeinsames, zielorientiertes Handeln werden zerstört.

Dass solche Entwicklungen nicht nur an der SUB Göttingen im Gange sind, zeigt das Beispiel der Freien Universität Berlin, wo es in einer Mitteilung vom 07.06.2023 heißt: Nach …

… Gründung der Zentraleinrichtung FUB-IT im April 2023 (…) wechseln im Sommer 2023 auch IT-Dienstleistungen der Universitätsbibliothek in die FUB-IT.

Bis zum 14. Juli wird es mit Teams der Universitätsbibliothek Gespräche geben, bei denen die Arbeitsprozesse und Schnittstellen mit anderen Einrichtungen der Universität beleuchtet und die Migration der Dienstleistungen und dazugehörigen Teams in die FUB-IT geplant werden sollen.

Einzelne Teams der Universitätsbibliothek werden Teil der Zentraleinrichtung FUB-IT, Freie Universität (07.06.2023)

Aufmerksam geworden bin ich auf die Berichtserstattung durch einen Tweet / Tröt von Ulrich Herb, der sofort von der Bibliothekscommunity aufgenommen wurde und weit verbreitet wurde.

Beitragsbild: Photo by reichdernatur on Pixabay

Quellen

Siehe auch:

Biblioblogosphäre

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2 Gedanken zu „Es steht für Bibliotheken einiges auf dem Spiel

    • bibliothekarin Autor des Beitrags

      Der Tippfehler tut mir Leid. Vielen Dank für den Hinweis. Auch beim Korrekturlesen habe ich den Fehler immer wieder übersehen. Ich habe ihn im Rahmen der Ergänzung des Beitrages korrigiert.

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